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der Reis immer gut gerät. Er pflegt und düngt und bewässert ihn aber auch
mit großartigem Fleiß, mit gewissenhaftester Sorgfalt und nach allen Regeln
der Landwirtschaft. Fleisch darf er eigentlich gar nicht essen, wenigstens nicht,
wenn er Buddhist ist, und das sind immerhin die meisten. Der glaubt an
Seelenwanderung. Wenn er also irgend ein Tier tötet, so muß er immer
denken, daß er die Seele seiner Großmutter oder seines Urgroßvaters, die
in dem Tiere gewohnt haben könnte, obdachlos macht. — Japanische
Arbeiter habe ich kaum etwas anderes essen sehen als ihre Schüssel Reis.
Einst machte ich mit einigen deutschen Damen und Herren einen Ausflug
nach den berühmten Stromschnellen von Araschiyama. Stundenlang
trabte der Jinrickschakuli, der mich fuhr, in seiner Schere. Als wir an-
kamen, Pakten die Damen ihre Körbe aus, und wir aßen Fleisch, Wurst,
Käse, Eier, Butterbrot, wir, die wir im Wagen gesessen hatten, aber die
den Wagen gezogen hatten, kochten sich eine Schüssel Reis und trabten
dann, neu gestärkt, den Weg wieder zurück, zwar magere, aber sehnige,
kräftige Gestalten. Schon damals dachte ich, wenn so ein Mann mit
seinen braunen, muskulösen Beinen vor mir herlief, daß so einer einen
guten Soldaten abgeben müsse. Es ist ja auch klar, daß ein so leicht sich
ernährender Mann sich trefflich zum Feldsoldaten eignet. Im Felde ist ja die
Ernährungsfrage so überaus wichtig. Auch der tapferste Soldat ist nur ein
halber Held, wenn er nur halb satt zu essen bekommen hat. Da der Japaner
mit Reis zufrieden ist, Reis und Tee, so hat es die Verpflegungsbehörde
leicht, ihn satt zu machen. Wie einfach ist anch der Reis zuzubereiten, wie
einfach zu essen! Ein Messer ist unnötig, eine Gabel ebenfalls. Zwei
dünne Holzstäbchen, ähnlich den hölzernen Wollstricknadeln, genügen. Es
muß freilich das Essen mit ihnen gelernt sein. Es ist zwar nicht so
schwer, wie man denken sollte, aber auch nicht so. einfach, wie es ans den
ersten Blick aussieht. Auch hier macht nur Übung den Meister. Wir
hatten acht japanische Seeoffiziere zur Ausbildung an Bord gehabt, daher
hatte uns der Mikado (Kaiser) zu einem feierlichen Essen eingeladen. Das
war damals eine große Seltenheit und hohe Auszeichnung. Wenn wir
aber von dem Reis uns mit Hilfe der Stäbchen hätten sättigen müssen,
dann wäre Schmalhans Küchenmeister gewesen. Ich erinnere mich noch
deutlich des halb unterdrückten, verwunderten Lächelns der Dienerinnen,
die nicht begreifen konnten, wie ungeschickt wir uns mit den Stäbchen
anstellten. Zum Glück hatte aber der Mikado ein Einsehen gehabt und
uns vorher ein glänzendes Essen nach europäischer Art anrichten lassen.
Das japanische kam nur der Wissenschaft wegen.
4. Sehr anspruchslos sind auch die Japaner in bezug auf die
Wohnung. Die Häuser sind meistens nur aus Holz und Papier; sie
brennen leicht ab, sind aber auch bald wieder aufgebaut. Eines Tages
brannte es in Tokio. Wie gewöhnlich brannten etliche tausend Häuser ab.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff], T79: [Wein Zucker Baumwolle Kaffee Getreide Tabak Fleisch Holz Wolle Handel]]
TM Hauptwörter (200): [T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T114: [Fleisch Milch Brot Pferd Butter Käse Stück Wein Schwein Getreide]]
401
Das hätte ich gern gesehen. Aber in derselben Woche konnte ich nicht
abkommen, und als ich in der nächsten Woche hinaufkam, da waren die
Häuser schon sämtlich wieder aufgebaut. Besser gestellte Leute sollen sich
einfach stets ein neues Haus in voraus bereithalten, damit sie, wenn's
brennt, nicht lange obdachlos sind. Eigentlich genügt der ganzen Familie
ein Raum. Höchstens daß er durch Papierwäude etwas abgeteilt ist.
Tische, Stühle, Sofas, Betten, Schränke und dergleichen gibt's nicht. Man
arbeitet, ißt, schläft, plaudert auf den mattenbelegten Fußboden sitzend oder
liegend. Trotzdem es im Winter kalt ist, gibt es keine Ofen. Man zieht
sich einfach wärmer an und wärmt sich die Hände an einem Kessel mit
feurigen Kohlen, um dessen gesellige Wärme sich die Hausbewohner sammeln.
5. Auch an die Kleidung machen die Japaner keine großen An-
sprüche. Es ist freilich höchst bedauerlich, daß neuerdings die europäische
Tracht mehr und mehr in Aufnahme kommt. Aber die Mode ist überall
in der Welt eine beinahe unwiderstehliche Macht. Hoffentlich besinnen
sich die Japaner und bleiben bei ihrer kleidsamen Tracht, dem Kimono,
einer Art Schlafrock für Männer und Frauen, weit, bequem, malerisch,
über der Hüfte mit einem Gürtel zusammengehalten, der bei Männern
schmal, bei Frauen dagegen oft sehr breit und von kostbarster Seide ist.
Die Schuhe sind bei trockenem Wetter einfache Strohsandalen, bei Regen-
wetter kleine Brettchen mit Klötzchen darunter, so daß man trockenen
Fußes durch den tiefsten Schmutz gehen oder vielmehr tippeln kann, was
bei Frauen, wenn sie es hübsch machen, sehr anmutig aussehen kann.
Überhaupt zeichnen sich die Frauen durch niedliche, anmutige Bewegungen
aus. Wenn es also wahr ist, daß die Frauenschönheit hauptsächlich in
Anmut, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit besieht, dann kann man die
japanischen Frauen mit. Fug und Recht schön nennen.
Besondere Sorgfalt verwenden sie aus die Haartracht. Die stellt
einen überaus künstlichen Bau dar, durch Einflechten von Pferdehaaren
in Gestalt und Schöne gebracht. Viele Stunden werden auf den Kopf-
putz verwandt. Daher kann er nicht jeden Tag neu hergestellt werden,
sondern muß mindestens eine Woche halten. Es dürfen also die so
Frisierten ihren Kopf zum Schlafen nicht bequem auf ein Kiffen legen;
sie haben nur eine Makura, ein Ding wie einen kleinen Kasten, der als
Stütze unter das Genick geschoben wird, so daß der ganze Kopf frei in
der Luft schwebt. Höchst unbequem; aber was legt sich der Mensch nicht
alles für Lasten auf der lieben Eitelkeit zuliebe. — Nichts geht dem
Japaner wie der Japanerin über die Reinlichkeit. Waschen und baden,
täglich einmal, auch mehrmal heiß, so heiß wie möglich baden, das gehört
ihnen zu den notwendigsten Lebensbedürfnissen.
6. In Japan gibt es kein kinderloses Haus. Bekommt eine Frau
keine Kinder, so kann sich der Mann von ihr scheiden und eine andere
Kappey u. Koch, Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. V. 26
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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409
bedeckte, dann füllen Freude und Stolz seine Brust und spornen ihn an
zu neuer Tätigkeit. Karl Kaerger.
241. Amerikanische „Wolkenkratzer". (Gekürzt.)
1. Echt amerikanisch ist die Sache, die man unter Sky Scrapers
versteht, ebenso wie der Name, den man ihr in verschiedenen Groß-
städten der Vereinigten Staaten, vor allem aber in Neuyork, gegeben hat.
Wer zum erstenmal eines dieser Mammutgebäude erblickt, fühlt sich vor
Erstaunen an den Platz gefesselt, auf dem er gerade steht, und wo sie sich
gleich zu Dutzenden finden, um einen größeren Raum einzuschließen, bringen
sie unsere Vorstellungen vom Raum und dessen Ausnützung ganz in Un-
ordnung. Es handelt sich um Häuser, deren Fundament so tief in die
Erde gesenkt ist, wie unsere gewöhnlichen Wohnhäuser hoch sind, und deren
Stockwerke bis zu einem Punkt emporwachsen, den die Spaziergänger in
Europa höchstens dann ins Auge fassen, wenn sie am Tage die Sonne,
am Abend den Mond und die Sterne betrachten. Häuser dieser.art
machen den Amerikanern Freude, weil sie etwas Verblüffendes haben und
dem Fremden ein langgezogenes „Ah!" der Verwunderung entlocken.
Allerdings sind die „Wolkenkratzer" keine Spielerei der Architekten, sondern
eine Sache, die sich aus dem Zwang der Verhältnisse mit Notwendigkeit
ergeben hat.
2. Neuyork liegt auf einer Insel und wird von der Sorge beherrscht,
wie man die ungeheure Menschenmenge, die hier von allen Enden der
Welt zusammenströmt, erträglich unterbringen soll. Grund und Boden
haben eine schwindelhafte Preishöhe erreicht, und dieser Bewegung ist kein
Halt zu gebieten. Da man sich in der Breite nicht weiter ausdehnen
konnte, mußte man es mit der Höhe versuchen und zu den Wolken hinan-
streben, um den entsprechenden Gewinst für das Anlagekapital zu erzielen.
Damit hängt die unglaubliche Vaulust zusammen, die in Neuyork jedem
Fremden sofort in die Augen fällt, überall riesige Lücken und Einschachte-
lungen in den Häuserreihen entstehen läßt und die Empfindung hervorruft,
daß die Stadt eigentlich niemals fertig werden könne, wenn die Strömung
zum unerhört Langen, Breiten und Hohen anhält. Man wartet dabei
durchaus nicht, bis ein Gebäude morsch und altersschwach geworden ist,
um ein neues an seine Stelle zu setzen. Es muß einfach deshalb von
der Erde verschwinden, weil es im Verhältnis zu dem steigenden Wert
des Bodens nicht mehr genug einbringt. Wer fünfzig Jahre in Neuyork
lebt, hat es beobachten können, wie an zahllosen Stellen zuerst ein drei-
stöckiges Haus stand und einem sechsstöckigen Platz machte, und wie dieses
dann wieder einem neun oder zwölfstöckigen weichen mußte. Bisher hat
sich die Baupolizei um diese Himmelstreberei nicht gekümmert und die
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_Kaerger Karl Neuyork
Extrahierte Ortsnamen: Neuyork Europa Neuyork Neuyork
345
fuhr mein Begleiter fort, „gleich beim ersten Besuche Göttingens auf-
gefallen. Die Ankündigung hinter den Fenstern ,Wohnung für Studie-
rende zu vermieten^ die marmornen Gedenktafeln für berühmte Männer
an so manchen Häusern, die große Zahl der in allen Stadtteilen sich
findenden Universitätsinstitute, die Studenten, die mir überall begegneten,
das alles zeigte mir auf den ersten Blick, wo ich mich befand.
Besonders stark und geradezu erhebend war dieser Eindruck, als ich
vom Bahnhöfe aus durch die Allee in die Stadt eintrat. ,Jakob und
Wilhelm Grimnll las ich da an einem Hause, ,Goethck an einem andern.
Durch die Fenster der Universitätsbibliothek schimmerten die weißen Büsten
berühmter Männer; am gegenüberliegenden Gebäude stand die Inschrift:
Erster elektrischer Telegraph. Gauß. Weber. 1833h und weiterhin las
ich an einem Hause Namen von königlichem Klange. Als ich nun dachte,
daß alle jene Männer schon durch diese Straßen gewandelt, da war mir's,
als ob ich heiliges Land beträte."
„So ist mir's auch gegangen," mußte ich unwillkürlich hinzufügen,
„und so wird es jedem gehen, der nicht blind und gedankenlos durch diese
Straßen geht. Übrigens hat man diesen Eindruck, wie du richtig bemerktest,
fast überall in der Stadt. Mag man an den Gedenktafeln lesen ,Bismarckh
,Hardenbergh ^Freiherr vom Steüll oder ,Bürgerh ,Voßh ,Höltyh oder die
Namen der vielen Männer von höchster wissenschaftlicher Bedeutung, mag
man ihre Denkmäler aufsuchen, oder mag man am Auditorienhause, an der
Aula, an der Anatomie, an den Kliniken, am chemischen Laboratorium
oder an den andern zwanzig und mehr Universitätsinstituten vorübergehen
— immer wieder und überall drängt sich's einem auf: Göttingen ist
Universitätsstadt. Ob wir den Professor an seinem Schreibtisch inmitten
hoher Bücherregale aufsuchen, ob den fleißigen Studenten bei der Arbeits-
lampe in seiner einfachen ,Budeh ob wir beide in den Hörsaal begleiten,
oder ob wir sie im Lesesaal der Bibliothek eifrig forschen sehen in Hand-
büchern, Handschriften und großen Folianten — überall derselbe Eindruck:
Güttingen ist Universitätsstadt, ist die Stadt des Geistes und der geistigen
Arbeit. Rüstkammer aber und Magazin für all die Geistesarbeit ist die
Universitätsbibliothek mit ihrem Vorrat von einer halben Million Büchern.
Saal an Saal stehen sie, durch zwei und drei Stockwerke hindurch, selbst
die alte geräumige Klosterkirche der Pauliner ist voll von Büchern bis hoch
hinaus unter die gewölbte Decke. Wohlgeordnet stehen sie da in Reihe und
Glied, getrennt nach Fakultäten oder Wissenschaftsgebieten, nach Theologie,
Jurisprudenz, Medizin und Philosophie, bei letzterer wieder nach ihren
Einzelfächern, nämlich Geschichte, Sprachwissenschaft, Naturwissenschaft,
Geographie u. a. Welche unmeßbare Summe geistiger Arbeit steckt doch
in diesen Räumen! Keine andere deutsche Stadt, außer Berlin, hat einen
solchen Schatz an Büchern und Schriftwerken auszuweisen."
TM Hauptwörter (50): [T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T46: [Universität Berlin Jahr Schule Wissenschaft Leipzig Professor Akademie Hochschule Gymnasium], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm_Grimnll Wilhelm Gauß
511
hoffen, den wohltätigen Zweck zu erreichen. Man muß also einen
Aufruf erlassen und eine Bitte richten an jedermann, in allen Län-
dern, jedes Rangs, jeder Stellung, an Männer wie Frauen, an die
Prinzessin wie an die arme Witwe, an alle, welche noch ein Herz für
ihren Nächsten haben. Wenn dann Hochgestellte zusammentreten, so
sollen sie einen internationalen Grundsatz aufstellen und durch einen
Vertrag völkerrechtlich heiligen, und zu seiner Ausführung sollen sich
in allen Ländern Europas Vereine zur Hilfe für die Verwundeten
bilden. Die Menschlichkeit wie die Gesittung verlangen gebieterisch
ein solches Werk."
4. Diese geflügelten Worte gingen gedruckt in alle Welt und
trafen fast überall auf Zustimmung. Dunant aber konnte sich nicht
allein auf sie verlassen, sondern wirkte, getragen von fester Über-
zeugung und unterstützt durch die Redlichkeit und Liebenswürdigkeit
seines Charakters und seines ganzen Wesens, schriftlich, persönlich,
bittend, erläuternd, überzeugend in Paris, Berlin, Turin, wo er irgend-
wie ein Eingehen auf seine Pläne erhoffen konnte. Der beste Weg
schien die Berufung einer internationalen Konferenz aus Teilnehmern
aller Länder. Am 1. September 1863 ging die Einladung in alle
Welt, und am 26. Oktober schon fanden sich in Genf 36 Männer zu-
sammen, bereit, den großen Gedanken zu beraten. Die Konferenz
einigte sich nach viertägigen bewegten Beratungen zu einer Reihe von
Beschlüssen, in zehn Artikeln niedergelegt. In jedem Lande sollen sich
Vereine bilden, je mehr, desto besser, die ihre Verzweigungen unter-
einander haben. In Friedenszeiten bereiten sie die Mittel vor, um
im Kriege wirklich nützen zu können, sie rüsten jede Art von Hilfs-
gegenständen und bilden freiwillige Krankenwärter aus; im Kriege
aber setzen sie, in Übereinstimmung mit ihrer Regierung und der
Militärbehörde diese Mittel in Tätigkeit, unterstützen die Armee mit
ihren Hilfsquellen, geben ans eigene Kosten Wärter und Wärterinnen
für Verwundete und Kranke ab, stellen Räumlichkeiten und Aus-
rüstungen her zu ihrer Verpflegung, senden ihre Freiwilligen aufs
Schlachtfeld den Verwundeten zur Hilfe. Als gemeinschaftliches Zeichen
für die Vereine und ihre Mannschaft gilt eine weiße Armbinde mit
rotem Kreuze. Infolge dieser Beschlüsse bedeckte sich Europa in allen
zivilisierten Ländern mit einem Netze von Vereinen, die alsbald im
Jahre 1864 sich organisierten und ihre Tätigkeit begannen.
8. Den Vereinen vom Roten Kreuz sollte bald von den Staaten
die tatkräftigste Unterstützung werden. Am 8. August 1864 traten in
Gens die Bevollmächtigten von 16 Regierungen zusammen und gingen
ans Werk, um feierlich einen Grundsatz der Humanität dem Völker-
rechte einzuverleiben, nämlich die Neutralität der Verwundeten im
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T59: [Heer Mann Soldat Krieg Jahr Offizier Land König Truppe Waffe], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
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Extrahierte Personennamen: Dunant August
Extrahierte Ortsnamen: Europas Paris Berlin Turin Genf Friedenszeiten Europa
439
Brüder auch für die seltenen Tage eines Gastmahls und für den
Tisch ihres Abtes gute Dinge zu bereiten, Kochkunst und Pflege des
Weins wurden mit derselben kleinlichen Sorgfalt geübt, die alle Tätig-
keit der alten Klöster bezeichnet. Aber auch höherem Künstlertalent
bot die heilige Genossenschaft den sichersten Schutz, Maler und Bau-
künstler erlangten am leichtesten als Mönche Ruf, sie wurden zur
Ausübung ihrer Kunst auch aus dem Kloster versendet und arbeiteten
bei Bischöfen und in Fürstenhäusern zu Ehren ihres Heiligen.
5. Die segensreichste Tätigkeit der Benediktiner aber war die Ein-
richtung von Klosterschulen; überall waren die Angelsachsen als Lehrer
tätig gewesen. Die Schule war stets eine zwiefache, eine innere und
eine äußere. In der äußeren, der kanonischen, wurden die Söhne der
Edlen und Freien aus der Umgegend in einer Pension unter strenger
Zucht gehalten, die Schüler der inneren trugen die dunkle Mönchskutte
und lebten in der Klausur unter dem Zwang der Klosterregel. Der
weltliche Unterricht war Lesen, Schreiben und Rechnen, vor allem
Latein, ein tüchtiger Lehrer hielt darauf, daß nicht nur in den Lehr-
stunden, sondern auch sonst von den älteren Schülern nur Latein
gesprochen wurde. Außerdem wurde noch manches andere gelehrt, was
aus unseren Schulen geschwunden ist. Die Schüler lernten durch
schnelles Zusammenlegen und Beugen der Finger Buchstaben, Worte
und Zahlen in Zeichen ausdrücken. Als Verstandesübungen waren
Rechenaufgaben und Rätselfragen beliebt, die noch heut' unser Volk
unterhalten. Streng war die Schulzucht, viele Streiche wurden aus-
geteilt, bisweilen die Fehler aufsummiert und zusammen an schwerem
Streichtage auf die Rücken gemessen. In St. Gallen zündete im Jahre
937 an solchem Straftag ein Schüler, um den Schlägen zu entgehen,
die Schule an, die Flamme verbreitete sich und verzehrte einen Teil
der Klostergebäude.
Viele Mühe ward auf lateinische Verse verwandt; sie leicht und
schön, wie der Zeitgeschmack war, zu verfertigen, galt für die rühmlichste
weltliche Leistung des Gelehrten. Wie die letzten römischen Dichter
lateinische Lobgedichte auf ihre Gönner unter Franken und Goten
gemacht hatten, feierten jetzt auch fromme Mönche die Beschützer ihres
Klosters durch Gedichte in Hexametern oder Distichen. Die Verse
waren ein feines Mittel, sich Vornehmen zu empfehlen, von diesen
Geschenke und unter den Brüdern Ansehen zu erwerben.
6. Zu den Pflichten der Benediktiner gehörte das Abschreiben
alter Handschriften, und wir haben Ursache, mit innigem Dank auf
diese emsige Tätigkeit zu blicken, denn ihr verdanken wir fast unsere
gesamte Kunde des Altertums. In seiner Klosterzelle saß der Schön-
schreiber der Abtei, glättete und liniierte sein Pergament, schrieb un-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg]]
TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T69: [Kirche Kloster Stadt Schule Bischof Gemeinde Orden Land Priester geistliche], T58: [Kloster Jahr Mönch Kirche Schweiz Bischof Abt Zürich Bonifatius Bern], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
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466
fünften bis zwölften Jahre im Winter täglich, im Sommer ein- oder
zweimal in der Woche zur Schule zu schicken. Kein Kind sollte
zum Konfirmandenunterricht zugelassen werden, das nicht wenigstens
lesen und schreiben könne. Unbekümmert um den Widerspruch,
den er dabei erfuhr, trug er auch in diesem Falle kein Bedenken,
seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen. Als die preußische Regierung
allerhand Einwände gegen den Schulzwang erhob, schrieb er an den
Rand ihrer Eingabe: „Dieses ist nichts; denn die Regierung will das
arme Volk in Barbarei erhalten. Denn wenn ich baue und verbessere
das Land und mache keine Christen, so hilft mir alles nichts.“ Der
König beschränkte sich aber nicht darauf, die Einrichtungen von
Schulen anzuordnen, sondern bei aller seiner sonstigen Sparsamkeit
spendete er freigebig für dieselben die größten Summen. Für jeden
Schulhausbau bewilligte er freies Bauholz und einen Morgen Land,
sowie freies Brennholz für die Heizung der Schulzimmer. Unter
seiner Regierung sind über 2000 neue Schulen errichtet worden; in
Ostpreußen und Litauen, wo das Volk ganz besonders noch in tiefster
Unwissenheit und Roheit dahin lebte, verdanken allein 1160 Dorf-
schulen der Fürsorge des Königs ihre Entstehung.
Nach Bernhard Rogge.
261. Aus Friedrichs des Großen Weisungen an den
Grafen Finkenstein.
Berlin, den 10. Januar 1757.
In der entscheidenden Lage, in der sich unsere Verhältnisse befinden,
muß ich Ihnen meine Weisungen geben, damit Sie in allen Unglücksfällen,
welche sich möglicherweise ereignen, ermächtigt sind zu Schritten, welche
getan werden müssen.
Sollte ich getötet werden, so sollen die Dinge ihren Fortgang nehmen
ohne die geringste Veränderung und ohne daß man merke, daß sie in
andern Händen seien, und in diesem Falle soll man ebenso hier wie in
Preußen und besonders in Schlesien Eidesleistung und Huldigung be-
schleunigen. Wenn ich das Unglück haben sollte, in die Hände des Feindes
zu fallen, fo verbiete ich, daß man auf meine Person auch die geringste
Rücksicht nehme oder demjenigen die geringste Bedeutung beilege, was ich
aus meiner Gefangenschaft schreiben könnte. Wenn mich ein solches Un-
glück träfe, so will ich mich für den Staat opfern, und man soll meinem
Bruder gehorchen, welcher ebenso wie alle meine Minister und Generale
mir mit seinem Kopfe dafür haften wird, daß man weder eine Provinz
noch einen Heller für mich opfern und den Krieg mit Verfolgung der
eigenen Vorteile fortsetzen wird, ganz als wenn ich niemals auf der Welt
existiert hätte.
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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25
fehlt. Du hast zu wenig Philosophie und arbeitest viel zu leichtsinnig.
Um die Zuschauer so lachen zu machen, daß sie nicht zugleich über uns
lachen, muß man auf seiner Studierstube lange sehr ernsthaft gewesen
sein. Man muß nie schreiben, was einem zuerst in den Kopf kommt.
Deine Sprache selbst zeugt von Deiner Ruschelei. Auf allen Seiten sind
grammatische Fehler, und korrekt, eigen und neu ist fast keine einzige Rede.
Ich nehme wiederum den „Wildfang" zum größten Teile aus. — Freilich
muß ich Dir zum Troste sagen, daß Deine ersten Stücke immer so gut
sind als meine ersten Stücke, und wenn Du Dir nur immer zu jedem
neuen Stücke, wie ich es getan habe, vier bis sechs Jahre Zeit lässest, so
kannst Du leicht etwas Besseres machen, als ich je gemacht habe oder
machen werde. Aber wenn Du fortfährst, Stücke über Stücke zu schreiben,
wenn Du Dich nicht dazwischen in andern Aufsätzen übst, um in Deinen
Gedanken aufzuräumen und Deinem Ausdrucke Klarheit und Nettigkeit zu
verschaffen, so spreche ich Dir es schlechterdings ab, es in diesem Fache zu
etwas Besonderem zu bringen, und Dein hundertstes Stück wird kein
Haar besser sein als Dein erstes.
Nun genug gehofmeistert! Schreibe mir doch, lieber Bruder, was
von meinen Bücherip noch vorrätig ist. Notiere mir die vorzüglichsten
nur mit einem Worte auf, damit ich urteilen kann, ob es sich der Mühe
verlohnt, sie hierher kommen und verauktionieren zu lassen. Ich muß
alles zu Gelde machen, was ich noch habe, und auch so noch werde ich
meine Reise nur kümmerlich bestreiten können..................
Gott mag helfen! Lebe wohl, und sei versichert, daß ich es recht
gut mit Dir meinen muß, da ich so rund mit Deiner Eigenliebe zu
Werke gehe.
Dein treuer Bruder
Gotthold.
^ Johann Gottfried von Herder. 224
13. Lied des Lebens.
1. Flüchtiger als Wind und Welle
flieht die Zeit, was hält sie auf?
Sie genießen auf der Stelle,
sie ergreifen schnell im Laus,
das, ihr Brüder, hält ihr Schweden,
hält den Lauf der Tage ein.
Schneller Gang ist unser Leben:
Laßt uns Rosen auf ihn streun.
2. Rosen, denn die Tage sinken
in des Winters Nebelmeer,
Rosen, denn sie blühn und blinken
links und rechts noch um uns her.
Rosen stehn auf jedem Zweige
jeder schönen Jugendtat.
Wohl ihm, der bis auf die Neige
rein gelebt sein Leben hat!
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe]]
TM Hauptwörter (200): [T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
Extrahierte Personennamen: Deiner_Ruschelei Gotthold Johann_Gottfried_von_Herder Johann
36
so kommt man oft in den Fall, dasjenige, was wir von andern ge-
hört, mit dem zu verwechseln, was wir wirklich aus eigner an-
schauender Erfahrung besitzen. Ohne also hierüber eine genaue
Untersuchung anzustellen, welche ohnehin zu nichts führen kann,
bin ich mir bewußt, daß wir in einem alten Hause wohnten, welches
eigentlich aus zwei durchgebrochenen Häusern bestand. Eine turm-
artige Treppe führte zu unzusammenhängenden Zimmern, und die
Ungleichheit der Stockwerke war durch Stufen ausgeglichen. Für
uns Kinder, eine jüngere Schwester und mich, war die untere weit-
läufige Hausflur der liebste Raum, welche neben der Tür ein großes
hölzernes Gitterwerk hatte, wodurch man unmittelbar mit der Straße
und der freien Luft in Verbindung kam. Einen solchen Vogelbauer,
mit dem viele Häuser versehen waren, nannte man ein Geräms. Die
Frauen saßen darin, um zu nähen und zu stricken; die Köchin las ihren
Salat; die Nachbarinnen besprachen sich von daher miteinander, und
die Straßen gewannen dadurch in der guten Jahreszeit ein südliches
Ansehen. Man fühlte sich frei, indem man mit dem Öffentlichen
vertraut war. So kamen auch durch diese Gerämse die Kinder mit
den Nachbarn in Verbindung, und mich gewannen drei gegenüber-
wohnende Brüder von Ochsenstein, hinterlassene Söhne des ver-
storbenen Schultheißen, gar lieb und beschäftigten und neckten sich
mit mir auf mancherlei Weise.
2. Die Meinigen erzählten gern allerlei Eulenspiegeleien, zu
denen mich jene sonst ernsten und einsamen Männer angereizt. Ich
führe nur einen von diesen Streichen an. Es war eben Topfmarkt
gewesen, und man hatte nicht allein die Küche für die nächste Zeit
mit solchen Waren versorgt, sondern auch uns Kindern dergleichen
Geschirr im kleinen zu spielender Beschäftigung eingekauft. An
einem schönen Nachmittag, da alles ruhig im Hause war, trieb ich
im Geräms mit meinen Schüsseln und Töpfen mein Wesen, und da
weiter nichts dabei herauskommen wollte, warf ich ein Geschirr auf
die Straße und freute mich, daß es so lustig zerbrach. Die von
Ochsenstein, welche sahen, wie ich mich daran ergötzte, daß ich so-
gar fröhlich in die Händchen patschte, riefen: „Noch mehr!“ Ich
säumte nicht, sogleich einen Topf und auf immer fortwährendes
Rufen: „Noch mehr!“ nach und nach sämtliche Schüsselchen, Tiegel-
chen, Kännchen gegen das Pflaster zu schleudern. Meine Nachbarn
fuhren fort, ihren Beifall zu bezeigen, und ich war höchlich froh,
ihnen Vergnügen zu machen. Mein Vorrat aber war aufgezehrt,
und sie riefen immer: „Noch mehr!“ Ich eilte daher stracks in die
Küche und holte die irdenen Teller, welche nun freilich im Zer-
brechen noch ein lustigeres Schauspiel gaben. Und so lief ich hin
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9. Die kleine Bühne mit ihrem stummen Personal, die man uns
anfangs nur vorgezeigt hatte, nachher aber zu eigner Übung und
dramatischer Belebung übergab, mußte uns Kindern um so viel
werter sein, als es das letzte Vermächtnis unserer guten Großmutter
war, die bald darauf durch zunehmende Krankheit unsern Augen
erst entzogen und dann für immer durch den Tod entrissen wurde.
Ihr Abscheiden war für die Familie von desto größerer Bedeutung,
als es eine völlige Veränderung in dem Zustande derselben nach
sich zog.
10. Solange die Großmutter lebte, hatte mein Vater sich ge-
hütet, nur das mindeste im Hause zu verändern oder zu erneuern;
aber man wußte wohl, daß er sich zu einem Hauptbau vorbereitete,
der nunmehr auch sogleich vorgenommen wurde. In Frankfurt, wie
in mehrern alten Städten, hatte man bei Aufführung hölzerner Ge-
bäude, um Platz zu gewinnen, sich erlaubt, nicht allein mit dem
ersten, sondern auch mit den folgenden Stocken überzubauen, wo-
durch denn freilich besonders enge Straßen etwas Düsteres und
Ängstliches bekamen. Endlich ging ein Gesetz durch, daß, wer ein
neues Haus von Grund auf baue, nur mit dem ersten Stock über
das Fundament herausrücken dürfe, die übrigen aber senkrecht auf-
führen müsse. Mein Vater, um den vorspringenden Kaum im
zweiten Stock auch nicht aufzugeben, wenig bekümmert um äußeres
architektonisches Ansehen und nur um innere gute und bequeme
Einrichtung besorgt, bediente sich, wie schon mehrere vor ihm getan,
der Ausflucht, die oberen Teile des Hauses zu unterstützen und von
unten herauf einen nach dem andern wegzunehmen und das Neue
gleichsam einzuschalten, so daß, wenn zuletzt gewissermaßen nichts
von dem alten übrig blieb, der ganz neue Bau noch immer für eine
Reparatur gelten konnte. Da nun also das Einreißen und Aufrichten
allmählich geschah, so hatte mein Vater sich vorgenommen, nicht
aus dem Hause zu weichen, um desto besser die Aufsicht zu führen
und die Anleitung geben zu können; denn aufs Technische des
Baues verstand er sich ganz gut; dabei wollte er aber auch seine
Familie nicht von sich lassen. Diese neue Epoche war den Kindern
sehr überraschend und sonderbar. Die Zimmer, in denen man sie
oft enge genug gehalten und mit wenig erfreulichem Lernen und
Arbeiten geängstigt, die Gänge, auf denen sie gespielt, die Wände,
für deren Reinlichkeit und Erhaltung man sonst so sehr gesorgt,
alles das vor der Hacke des Maurers, vor dem Beile des Zimmer-
manns fallen zu sehen, und zwar von unten herauf, und indessen
oben auf unterstützten Balken gleichsam in der Luft zu schweben
und dabei immer noch zu einer gewissen Lektion, zu einer bestimmten
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